Digitales Neuland
Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung
Dieser Blog hat nun eine vierjährige Geburt hinter sich und fing zunächst mit einem faszinierenden Paradox an. “Digitalisierung” birgt unbestritten viel Potenzial. Hingegen klaffen fast überall Lücken zwischen diesem Potenzial und der Wirklichkeit - selbst bei Unternehmen, die “digitalisierungswillig” sind. Wie kann man diese paradoxale Lücke erklären und vielleicht sogar schliessen? Und wieso sind solche Lücken nichts Neues? Es gibt sie nämlich schon seit mindestens den 80-er Jahren und unter verschiedenen Konzepten: Online Government, E-Government, transformational Government und nun digital government. Wieso ist das digitale Neuland so unnahbar, und was braucht es um dahin zu gelangen?
Die Suche nach den Antworten
Auf meiner Suche bin ich seitdem auf mehr Fragen als auf Antworten gestossen. Der Auslöser für die Lancierung dieses Blogs war schlussendlich die Lektüre des Buchs “Data Literacy” von David Herzog. Eines der raren Bücher, welches Grundlagen in “Datenkompetenz” bereitzustellen versucht. Das Buch hat jedoch meine Erwartungen an ein Buch zu moderner Data Literacy enttäuscht. Dabei ist es noch das Geringste, dass ich meine ehemalige Lateinlehrerin versteinert und mit weit offenem Mund vor Augen habe, wenn der Autor im allerersten Satz erklärt, dass das Wort “Data” aus dem Griechischen käme.
Sein Buch spricht von einer Data Literacy, die etwa der der 90-er Jahre entspricht: Das Pivotieren einer Excel-Tabelle ist ein grosses Highlight des Buches. Dabei geht es in Datenkompetenz sicher nicht um den letzten Schrei, die neueste Programmiersprache oder SAP O/7SUSANNA. Ein ausgezeichneter Beitrag zu Data Literacy ist zweifelsohne “Future Skills: Ein Framework für Data Literacy” von Katharina Schüller et al. 2019. Die folgende Abbildung aus jenem Artikel zeigt, wie umangreich Data Literacy verstanden werden kann: Sowohl seitens der Mehrwertgenerierung von Daten, über Informationen zu Wissen (die Data Literacy Pyramide), wie auch das Verstehen von Informationen und Visualisierungen, um daraus Handlungen ableiten zu können, aber auch Ethik und “Haltungen” (Schüller et al. 2019).
Bildquelle: Schüller et al. 2019: Seite 25, CC BY-SA 4.0
Dabei geht es um fundamentale Elemente, die nicht nur technischer Natur sind, denn das Wort “digital” trügt. Es geht ebenfalls um kulturelle Elemente, um ethische Fragen, und sogar um eine komplette Neuausrichtung von Prozessen und Organisationen (siehe z.B. Hoerl, Kuonen und Redman 2020).
Der Mensch im Mittelpunkt
Dabei ist der Mensch stets im Mittelpunkt: Als Mitarbeitende, die in “digitalisierten Prozessen” einen Mehrwert erzeugen, als Beschaffende von Technologie, als vernetzt und medienbruchfrei arbeitende Arbeitskollegen, als KundIn mit hohen Erwartungen, Als BürgerIn mit datenschutzrechtlichen Anforderungen oder als ProgrammiererIn unter Zeitdruck.
Denn das Wichtigste bei einer zwischenmenschlichen Beziehung, egal ob in Form zwischen Verwaltung und Bürgern, oder zwischen Firmen und Kunden oder innerhalb von demokratischen Prozessen, ist Vertrauen. Dass Vertrauen in die Gesellschaft das eigene Verhalten beeinflusst, ist bei Soziologen und Politikwissenschaftler nichts Neues. Aber auch Vertrauen im Sinne, dass das Internet morgen noch läuft. Vertrauen, dass mein postalisch eingereichtes Formular auch ungeöffnet beim Staat ankommt [Sic!]. Vertrauen, dass meine Daten nicht missbraucht werden.
Bildquelle: gettyimages von Natasa Adzic, CC BY-SA 4.0
Niklas Luhmann definierte Vertrauen als “Zutrauen zu eigenen Erwartungen”, welches “elementarer Bestandteil des sozialen Lebens” sei (Luhmann 1968: 8). Vertrauen ist somit nicht ohne zwischenmenschliche Beziehung, die Erwartungen weckt. Also auch die Erwartungen an den “Staat” oder an die Dienstleistungen einer “Firma”. Dabei handelt es sich bei “Staat” und “Firma” nicht um gesichtslose Monolithen: Es sind Menschen dahinter, welche die Dienstleistungen anbieten, Prozesse durchführen, menscheln, Interessen haben und strategische sowie operative Entscheidungen treffen.
Diese Erwartungen führen auch dazu, dass wir mit den neuen “digitalen” Möglichkeiten, das Potenzial auch möglichst ausschöpfen möchten: Automatisierung, medienbruchfreie Prozesse, kundenzentrierte Dienstleistungen, schlankere Organisationen, schnellere Entscheidungen usw. Und auch, dass Menschen unzufrieden sind, wenn dieses Potenzial nicht ausgeschöpft wird: Natürlich kann man zur Zeiterfassung weiterhin Stempelkarten händisch unterschreiben - das hatte man früher ja auch gemacht - man könnte aber die freiwerdenden Ressourcen auch für andere Zwecke einsetzen, beziehungsweise die zusätzlichen Erwartungen der Kunden und BürgerInnen erfüllen, um das Vertrauen nicht zu verlieren.
Stempelkarte. Bildquelle: Wikipedia ohne Copyrightangabe
Der Blog als bescheidener Teilbeitrag
Wenn man das alles sieht, dann merkt man, dass es kein Buch zu Datenkompetenz braucht, sondern gleich ein gesamtes Bücherregal mit Büchern zu den einzelnen Teilaspekten. Vielleicht deckt die Pivotierung von Excel-Tabellen tatsächlich viele Bedürfnisse in Verwaltungen und Firmen ab. Aber es gibt noch weit mehr “digitaler” Möglichkeiten. Und darum soll es in diesem Blog gehen: Es soll eine bescheidene Sammlung mit konkreten “digitalen” Möglichkeiten werden, die möglichst untechnisch, auf hoher Flugebene, ohne Hype und sachlich präsentiert werden sollen. Möglichkeiten, die der einen oder anderen Verwaltung oder Firma hoffentlich einen Mehrwert bieten könnte, um die Lücken zu schliessen.
Dabei bin ich gespannt mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, denn auch das Schreiben dieser verschiedenen Blogbeiträge ist eine iterative Reise im digitalen Neuland. Es gibt so viele Sichten auf diese Digitalisierungslücken, dass es nicht anders geht als mit möglichst vielen Personen zu sprechen und aus deren Erfahrungen zu lernen und die Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Sie können mir daher jederzeit gerne schreiben oder die Themen auf den sozialen Medien diskutieren. Abonnieren Sie auch den Newsletter, um auf dem laufenden zu bleiben.
A propos “Digitales Neuland”: Nein, ich lache nicht mehr über Merkel, die es verstanden hatte, dass die Kaskaden an Neuerungen durch das Internet seit den 90-er Jahren nicht nur technologischer Natur sind, und unsere Gesellschaften und politischen System tiefgreifend verändert haben und es auch weiterhin unentwegt tun. Es ist auch jetzt noch schwer abzuschätzen wohin diese Reise führt. Die konkreten Möglichkeiten, die vorgestellt werden, sollen jedoch auf dieser Reise ins digitale Neuland möglichst unterstützen.